Der Bodensee – nur ein Schwachwindrevier ?

Ja, verglichen mit der Ostsee herrscht am Bodensee tatsächlich überwiegend Schwachwind – wenn’s dumm läuft auch gar keiner. Das ist besonders bitter, wenn eine Regatta bei Bedingungen ansteht, wo man sonst nie an’s Segeln denken würde. Es gibt hier aber auch sehr windige regionale Besonderheiten:

Das sind zum Einen die Sommergewitter in Alpennähe, die zum Segeln auch nicht geeignet sind. Die können einem – wenn man’s nicht glaubt – den Verklicker wegblasen, Latten aus dem Groß zerren und es dann zerpflücken, den Baum dauerhaft verformen, die Bolzen am Hauptbeschlag vom Mast verbiegen und auch noch bedenklich viel Wasser in das Boot schöpfen (siehe FN 1/2019 „Schon mal in die Röhre geschaut?). Zum Anderen sind das Wetterphänomene wie der „Föhn“ und die „Bise“. Anfang Oktober haben diese beiden Winde innerhalb einer Woche den See mit Sturm und Starkwind ordentlich aufgemischt – doch der Reihe nach:

Wenn der Luftdruck südlich der Alpen um ca. 8 Hektopascal höher ist als nördlich, kann der Föhn bis zum Bodensee durchbrechen. Das ist kein kontinuierlicher und genau vorhersagbarer Prozess, sondern es ist tatsächlich ein „Bruch“ in den Luftströmungen. Bedingt durch den Verlauf des Rheintales (zwischen Österreich und der Schweiz) wird der Föhn besonders über den östlichen Teil des Sees geleitet. Wenn der Druckunterschied größer wird, nimmt der Föhn eine Abkürzung über das schweizerische Appenzell und dann knallt es ordentlich.

Am Samstag, den 2. Oktober 2021 haben sich 3 Folkeboote in Meersburg-Haltnau getroffen – die Solvejg, der Kleine Blaupfeil und die Anaximanda – zwei verabredet, das dritte zufällig. Für die Heimfahrt am Sonntag ist Föhnsturm angesagt und wir sind mit dem Kleinen Blaupfeil bei 2 Bft West vorsichtshalber schon mit Sturmgroß und Fock gestartet und segeln entsprechend gemächlich gen Heimat. Das Sturmgroß ohne Latten und mit konkav geschnittenem Achterliek haben wir uns eigentlich für die Ostsee umschneidern lassen, benützen es aber inzwischen öfters auch auf den Bodensee, um unnützem Materialverschleiß vorzubeugen. Schon von Weitem sind die Sturmwarn-Blinklichter ab Langenargen ostwärts mit 90 Blitzen / min sichtbar. Bis dahin hat nur die schweizer Wettervorhersage auf die scharfe Windgrenze hingewiesen (Bild 1) – hüben 1 bis 2 Bft West, drüben 8 bis 9 Bft Süd. Wir segeln da rein und Isolde birgt sofort die Fock – das Sturmgroß wird wohl reichen. Nach ein paar Seemeilen Richtung Lindau passt der Eindruck mit den an der Wetterstation gemessenen 9 Bft (47 Kn). Da es zunehmend ungemütlich wird, drehen wir um und fahren einfach aus dem Föhn wieder raus (Bild 2) – wo gibt es sonst eine solche Möglichkeit? Hier verzurren wir das Sturmgroß samt Baum auf dem Reitbalken, setzen die Fock und fahren wieder rein – ich will wissen, wie sich das anfühlt. Die Wellen sind inzwischen ordentlich hoch – aber lang genug, daß das Folkeboot ohne Knallen durchpflügt. Fotos konnte ich da leider keine mehr machen. Mein Plan war, zum Heimathafen nach Nonnenhorn zu segeln und dort zu entscheiden, ob man reinsegeln kann oder nicht. Der „Vorschlag“ meiner Isolde, doch direkt in den großen und sicheren Meichle & Mohr Hafen reinzusegeln ist vermutlich die vernünftigere Lösung. Wir drehen ab und reiten mit achterlichem Wind auf der Welle  zwischen den mit zahlreichen Schaulustigen besetzten Molenköpfen in das Hafenbecken (Bild 3). Die umliegenden großen Bäume bieten dort guten Schutz und wir vertäuen das Boot auf einem der schon geräumten Plätze. Ein ortsansässiger Folkeboot-Segler fährt uns dankenswerterweise nach Hause und das Boot wird am nächsten Tag bei moderaten Bedingungen heimgesegelt.

Bei Sturm können schon kleine Planungs-, Bedienungs- oder Materialfehler folgenschwer sein. Leider ist die Anaximanda beim Föhn auf Legerwall geraten und gestrandet (Bild 4). Glück im Unglück: die Besatzung ist wohlauf und das Boot konnte mit Luftsäcken gestützt vom DLRG vom Kiesufer in das tiefe Wasser gezogen werden – nicht ohne Blessuren an den Holzplanken, aber reparierbar.

Bei einem weiteren regionalen Windsystem, der „Bise“ (aus der Schweiz stammender Begriff) zieht nördlich des Bodensees ein Tiefdruckgebiet (linksdrehend) nach Osten ab und wird von einem Hoch (rechtsdrehend) aus Westen abgelöst. Diese zwei gegenläufigen Wirbel wirken als regelrechte Windmaschine. Die daraus resultierende Strömung kanalisiert sich im Hinterland zwischen den langgezogenen „Drumlin-Hügeln“ (eiszeitliche Kiesablagerungen) und treten am Ufer als  Wind-Düsen zutage. Daher der unterschiedlich starke und böige Wind. Der entscheidende Vorteil am Nordufer ist die im Verhältnis zur Windstärke geringe Wellenbildung.

Fünf Tage nach dem Föhnsturm ruft Erika von der „Bachus“ aus Konstanz an und fragt, ob sie uns besuchen kann – die angesagte Bise lässt auf ideale Bedingungen hoffen, um den Bodensee längs zu durchsegeln. Ich habe auch schon den Wetterbericht intus und mir ist klar, dass ich ihr entgegensegel (Bild 5+6) und sie auf dem See abhole . Was moderat losgeht, frischt in der „Häfler Düse“ bis auf 7 Bft (28 kn) auf. Ich bin froh, daß ich noch das Sturm-Groß vom Föhn angeschlagen habe, mache mir aber auch Sorgen um Erika, die auch alleine, aber mit Vollzeug unterwegs ist. In allen See-Ufer-Abschnitten blinken die Starkwind-Leuchten mit 40 Blitzten / min. Erst nach Immenstaad kann ich im Fernglas ein Boot am Horizont mit 45 ° Lage ausmachen – das muss Erika sein! Als ich auf ihrer Höhe vom Halbwindkurs umdrehe, habe ich wegen dem „scheinbaren Wind“ natürlich nicht wieder Halbwind, sondern bin auf Kurs „hart gegenan“ – welche Überraschung! – ich habe weder Schuhe, noch Öljacke oder Schwimmweste an, um auf die Kante zu klettern. Bis ich parat bin, haut mir die Erika fast ab, obwohl meine kleinere Segelfläche hier kein Nachteil bedeuten sollte. Die vom Bug aufgeworfene Gischt wird vom Wind gleich abgeblasen. Wir sind im Element – das ist seglerisch kaum zu toppen (Bilder 7+8). Noch vor dem Dunkelwerden laufen wir unter Segel in den Hafen von Nonnenhorn ein und sind glücklich, dass wir diese Bedingungen auf unserem „Schwachwindrevier“ ausgenutzt haben.

Und der alte Spruch vom Benjamin Disraeli stimmt halt immer noch: „The secret of success in life is for a person to be ready, when his opportunity comes“

Bernd Miller
F GER 998, Kleiner Blaupfeil