OSTSEEREISE 2022 – SOLVEJG SUI 40 – Teil 1/5

Der Lange Traum

– Jede grosse Seefahrtsgeschichte beginnt entweder mit einer Flasche Rum oder mit neuen Seekarten. An die entscheidende Flasche Rum kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Aber ich weiss, dass wir 2015 neue Seekarten gekauft hatten, nachdem wir mit Nicolas Thon, einem Folkeboot-Vercharterer an der Schlei und mittlerweile ein guter Freund von uns, für den Sommer 2016 einen Flotillentörn in die schwedischen Westschären geplant hatten.

Alles kam anders – ein Arbeitsunfall meinerseits machte einen dicken Strich durch unsere Rechnung. Der Traum war damit aber nicht ausgeträumt und der glückliche Umstand, dass wir die «Solvejg» in der Zwischenzeit unser eigenes Folkeboot nennen durften, hatte den Appetit auf eine Ostseereise nicht gemindert. Im Gegenteil, diesmal wollten wir dafür richtig viel Zeit zur Verfügung haben. Drei Monate, also beinahe einen ganzen Segelsommer sollten es mindestens sein, jedenfalls aus meiner Sicht. Unter Berücksichtigung unserer Arbeitsverhältnisse, hatten wir den Termin auf den Sommer 2020 festgelegt. In der mit jedem Monat konkreter werdenden Törnplanung waren das Einwassern an der Schlei, der Hafen Albuen auf Lolland, die Ostschären, der Götakanal mit Vänern- und Vätternsee und die Westschären vorgesehen, natürlich immer unter der Voraussetzung, dass wir mit entsprechenden Wetterbedingungen rechnen konnten. Für den geliehenen Trailer hatten wir eine freundliche Zusage erhalten und der Mietvertrag für das Zugfahrzeug war bereits unterschrieben.

Womit wir definitiv nicht gerechnet hatten, war die Pandemie. Mit dieser schmolz unser Vorhaben schneller, als das Eis an der heissen Juli-Sonne. Der kurze Gedanke, die Reise noch einmal um ein Jahr auf den Sommer 2021 verschieben zu können, war letztendlich auch nicht zielführend. Langsam kam ich mir vor, wie der ewige Hafenlieger, welcher sein ganzes Leben von der grossen Fahrt träumt, aber es letztlich nie zur Hafenausfahrt schafft. Dabei hätte ich mich nicht einmal beklagen dürfen, war ich doch in der Zwischenzeit auf mehreren schönen Segelreisen und Hochseeregatten mit dabei gewesen, aber eben nicht mit dem eigenen Folkeboot, mit der «Solvejg». Die Seekarten waren in der Zwischenzeit auch so alt, dass sie für die ganz grosse Geschichte nicht mehr taugten. Zu allem Elend beschlichen mich manchmal leise Zweifel, ob ich mit beschränkter Erfahrung einem solchen Vorhaben überhaupt gewachsen sein würde. Ich muss dazu sagen, dass ich bis dahin alleine mit dem Gedanken, in einen mir unbekannten Hafen einfach rein zu segeln, überfordert war.

Die Morgendämmerung

Das Licht am Horizont ging uns dank der Folkeboot Flotte Bodensee auf. Da aus uns wohl nie wirkliche Regatta-Segler werden – eine Rechtfertigung dieser Aussage würde hier den Rahmen sprengen -, wollten wir zumindest an sonstigen Anlässen mit dabei sein. In der Flotte herrscht eine gute, familiäre Stimmung und Folkebootsegler sind per se sympathisch. Viele seglerische Kniffe, die ich vorher nicht kannte, hatte ich da schon aufgenommen, ganz besonders von der Crew der «Kleiner Blaupfeil».

Anlässlich eines spontanen Folkeboot-Treffens, es waren zwei Boote, die «Kleiner Blaupfeil» und die «Solvejg» -, tauschten wir uns über unsere Pläne für die nächste Ostseereise aus. Da Beatrice und ich die Absenzzeit aus beruflichen Gründen für 2022 etwas reduzieren mussten, kam die Idee, dass wir unsern geplanten Törn anpassen könnten, um zumindest einen Teil zusammen segeln zu können. Natürlich hatte ich schon da den etwas eigennützigen Hintergedanken, der «Kleiner Blaupfeil»-Crew das eine oder andere abgucken zu können…

Auf der Herbstwanderung der Flotte auf den Hohentwiel, kam ich ins Gespräch mit Norbert Hermann. Ich erzählte ihm von unseren Plänen. Ganz spontan bot er uns seinen Trailer zum Gebrauch an – wow, wie hatten wir bloss diese Unterstützung verdient… Ein weiterer Nagel mit Kopf lag bereit.

Noch konkreter wurde es, als uns Isolde und Bernd mitteilten, dass Claudia und Alexander, ein befreundetes Seglerpaar, drei Wochen mit einem gecharterten IF-Boot mit dabei sein würden. Ende Dezember 2021 trafen wir uns alle in Wasserburg und dieses Treffen war derart herzlich, dass wir alle wussten: jetzt gibt es für uns kein Halten mehr.

Seeklar machen

Was an Ausrüstung auf hoher See alles nützlich sein könnte, davon hatte ich von früheren Törns eine gewisse Ahnung. Nur hat die «Solvejg», wie jedes andere Folkeboot wahrscheinlich auch, einen begrenzten Stauraum. Sie hat weder einen Dachboden, noch ist sie unterkellert und ein Minimum an Freibord halte ich zumindest für vernünftig. So wurde aus der umfangreichen Ausrüstungsliste eine fast so umfangreiche Streichliste. Zu den ersten, prominenten Opfern gehörten der Sextant, der Nautical Almanac und die HO-Tafeln. Zu gerne hätte ich mit der Astronavigation, wenn auch in Küstenregionen überhaupt nicht notwendig, meine Kenntnisse in der Praxis vertieft. Die Aussage von Bernd, dass dafür sowieso kaum Zeit zur Verfügung stehe, konnte ich zuerst nicht so richtig ernst nehmen, sie sollte sich aber später als zutreffend bestätigen. Bei einem elektrischen Kleinofen hatte ich, im Gegensatz zu Beatrice, überhaupt keine Mühe, diesen auf die Streichliste zu setzen. Wie es der Ofen dann trotzdem an Bord schaffte, was ich erst nach unserer Reise vor dem Auskranen der «Solvejg» bemerkt habe, bleibt mir heute noch ein Rätsel…

Daneben gab es Dinge, die auf dem Bodensee nicht notwendig sind, uns für die Ostseereise aber noch fehlten. Wir wollten wirklich nur das Notwendigste und keinen unnützen Ballast mitführen. Rat holten wir uns dafür bei unserem Freund Florian, einem Profi-Kapitän. Auf seinem Schiff hatte ich meine ersten Hochsee-Meilen gesammelt und durfte unter anderem auch auf einer unvergesslichen Reise von Norwegen nach Schottland mit dabei sein. An Ostern 2022 segelte er mit uns an Bord der «Solvejg» auf dem Bodensee. Auf seine Empfehlung rüsteten wir die «Solvejg» mit einer Lifeline, einem geeigneten Radarreflektor, mit einfachen, nicht BSH-zertifizierten Not-Navigationslichtern (ich wollte keine Kabel am oder im Mast führen) und einem DSC-fähigen Handfunkgerät nach. Dass alles mit dem Funkgerät seine Richtigkeit hatte, war ein in der Seglernation Schweiz gar kein so leicht zu bewältigendes Unterfangen. Dazu musste nämlich erst der Amtsschimmel gesattelt und mehrere Bundesämter bemüht werden. Die «Solvejg» musste als Klein- und Küstenboot registriert und das Funkgerät bewilligt werden. Gerade noch rechtzeitig vor der Abreise wurde die «Solvejg» auf den amtlichen und wenig romantischen Begriff «Mobile Seefunkanlage» reduziert. Über das Funkgerät waren wir dennoch froh.

Die Leichtwind-Genua wollten wir zu Hause lassen. An deren Stelle nahmen wir das Sturmgross mit. Bei den Wildgänsen (so nennt Nicolas liebevoll seine Folkeboote) konnte man zwei Reffs einbinden. Dazu waren seine Boote mit einer Dirk nachgerüstet. Am Bodensee hatte ich das Prinzip des Sturmgross, ich glaube durch Bernd kennengelernt. Der Vorteil davon: die Kopfplatte bleibt in der dafür vorgesehenen Höhe, was die Göhl erheblich entlastet. Der Nachtteil: man sollte sich vor dem Ablegen für das eine oder das andere Segel entscheiden. Ein Wechseln auf See wird umständlich.

Man sagt, für eine Beziehungskrise braucht es immer zwei Seiten. So mag es sich zwischen mir und dem Motor verhalten. Seit ich das Folkeboot kenne, hat sich zwischen uns nie wirklich eine innige Freundschaft entwickelt. Schon auf dem gecharterten Folkeboot, der lieben «Martha», waren die Vorzeichen nicht positiv. Obwohl bei der Übernahme der «Solvejg» alles perfekt, in bestem Zustand und der Motor praktisch neu war, hatte mich dieses Ding später bei jeder erdenklichen Gelegenheit versetzt, – bis wir uns zur Anschaffung eines E-Motors entschlossen. Das war ein herrliches Gefühl: kein Lärm, kein Gestank, zuverlässiger Start in wenigen Sekunden. Klar, die Reichweiten waren nicht berauschend, aber mit der Möglichkeit des Rekuperierens, mit dem zweiten Akku, welcher mit dem Solarpanel aufgeladen werden konnte und mit etwas Geduld konnte man jedes Ziel am Bodensee erreichen. Aber jedes Ziel erreichen zu können, ist ja auch gar nicht die eigentliche Aufgabe des Motors. Das Folkeboot ist doch ein Segelboot. Mit diesen Gedanken entschieden wir uns, entgegen vieler, gutgemeinter Ratschläge, die Ostseereise mit dem E-Motor zu versuchen. Eine der ganz wenigen ermunternden Stimmen dafür, kam von Bernd. Entsprechend gross war aber dann auch mein Bedürfnis, alle Hafenmanöver unter Segeln gründlich erlernen und beherrschen zu können.

Unsere Törnplanung im Vorfeld war aus Distanz betrachtet so rudimentär, dass sie in folgenden Eckpunkten zusammengefasst werden kann:

Einkranen in Grossenbrode – (vielleicht) rund Seeland – Auskranen in Grossenbrode.

Nicht einmal das «rund Seeland» war in Stein gemeisselt. Wir waren uns einig, dass wir nichts erzwingen und keine längeren Strecken gegenan fahren wollten, schon gar nicht unter Motor. Das war ganz in meinem Sinn und es hinderte mich natürlich nicht daran, im Vorfeld über den veralteten Seekarten zu brüten und die unterschiedlichsten Möglichkeiten auszuloten – das mit der Vorfreude ist ja hinlänglich bekannt. Ja, ich gestehe: Albuen war unter den ausgeloteten Möglichkeiten auch wieder ganz vorne mit dabei… Auch für Landgänge wollten wir genügend Zeit haben, denn wir waren ja nicht auf der Flucht und alle sollten schliesslich auf ihre Rechnung kommen.

Irgendwann wurde es Zeit für neue, aktuelle Seekarten und jetzt konnte die Geschichte endlich beginnen.

Klar zum auslaufen

Das Auskranen am Bodensee findet im Ultramarin-Hafen in Kressbronn statt. Weil Norbert selber auf der Ostsee unterwegs ist, hat Oliver Lenz uns seine Unterstützung angeboten. Um welchen Umfang der Unterstützung es sich dabei handelt, wird uns erst klar, als die «Solvejg» festgelascht und sicher auf dem Trailer liegt. Obwohl ich jedes Jahr das Auswassern zusammen mit unserem Bootsbauer vornehme, lerne ich bei Oliver eine ganze Menge Folkeboot-spezifische Tricks und ziehe einmal mehr den Hut vor solcher Hilfsbereitschaft!

Mit der «Kleiner Blaupfeil»-Crew treffen wir uns auf einer Raststätte an der A7 zur Übernachtung auf den trockengelegten Booten. Defekte Ventile bei Anhängerreifen sorgen da für lustige Show-Einlagen mit spazierengeführten Reifen. An einer Raststätte im Nirgendwo im Raum Hamburg sorgt eine perfekt getimte Kleinreparatur an der «Solvejg» zusammen mit dem Freund und Bootsbauer Tom für Staunen und vor Grossenbrode sorgt Google Maps für eine kilometerlange Rückwärtsfahrt auf einem schmalen Feldweg für zwei Folkeboot-Trailergespanne. Zu etwas verspäteter Stunde, aber deshalb nicht weniger freundlich, werden wir vom sympathischen Hafenmeister Fred in Grossenbrode empfangen. Nach der von Beatrice im Schnellverfahren zubereiteten Nachtessen versinken wir müde in unseren noch immer höher gelegten Kojen, denn das Einkranen ist erst für den nächsten Morgen angesagt. Apropos Einkranen: da war doch noch was mit dem Heissstropp. Noch kurz vor der Abreise hatte ich den selber gespleisst. Er hält zwar – alles andere wäre ja auch fatal –, aber die Länge passt nicht hundertprozentig, also muss diese vor dem Einkranen noch angepasst werden… wir schaffen das. Endlich ist die «Solvejg» wieder in ihrem Element. Das Kranen und Maststellen geht ohne Schwierigkeiten vonstatten, kein Wunder, haben wir doch die beste Unterstützung von zwei «alten Ostsee-Hasen». Wir wollen heute noch los, eine kurze Strecke segeln, um auf Fehmarn die «Jule»-Crew, also Claudia und Alexander zu treffen.

Dass das Folkeboot ein Hingucker ist, wissen wir spätestens von den Reisen mit der «Martha». Dass die Reaktionen hier so zahlreich und ausgeprägt sein würden, damit haben wir nicht gerechnet. Mag sein, dass die Flagge am Stock dies noch verstärkt, weil sie hier einfach etwas exotisch ist. Bei der Hafenausfahrt ruft uns ein deutscher Segler «Hopp Alinghi» zu – na ja, seglerisch ist da schon noch etwas Luft dazwischen, aber bei der Schönheit des Bootes können wir alleweil mithalten…

Teil 2 kommt in Kürze……

Ruedi und Beatrix Wüthrich

Bilder zu der Reise findet Ihr in der Galerie