OSTSEEREISE 2022 – SOLVEJG SUI 40 – Teil 2/5
Hill-ya-ho, boys! Let her go, boys!
Wir verholen die «Solvejg» an einen Luv-Dalben, setzen die Segel, drehen das Heck mittels Backhalten des Grossbaums, bis die Fock back steht und legen ab. Ein gelungenes Manöver mag für die allermeisten Folkebootsegler eine nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit sein, für uns ist es eine Genugtuung, die uns zuversichtlich stimmt. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Routinier und Anfänger. Ich vermute allerdings, dass ich auch nach dem neunhundertsiebenundneunzigsten Ablegemanöver noch immer wie ein Anfänger fühlen werde.
Es ist schon ein erhebendes Gefühl, mit dieser flotten Brise unterwegs zu sein, über dem Kopf das volle, bauchige Segel. Während der zügigen Fahrt durch den Fehmarnsund klingt mir der Refrain eines Liedes von Peter Reber, seines Zeichens Berner-Mundartsänger und Segler, im Ohr: «…als wär d’Freiheit dä Bitz Tuech, wo stolz über dr wäiht, als wärs nid mängisch oh ne Fluech, wo sich gäge eim dräit und eim drängt und eim tribt und eim gäng wieder seit, für immer söusch fahre…»[1].
Schliesslich finden wir im Hafen Orth gerade noch eine Lücke für zwei Folkeboote und wenig später findet sich auch noch eine zweite Lücke für die «Jule», welche soeben eingetroffen ist. Die Freude, Claudia und Alex zu treffen, ist gross und das Wiedersehen herzlich. Nach dem gemeinsamen Nachtessen besprechen wir die lang-, mittel- und kurzfristigen Möglichkeiten unseres Törns. Die Windprognosen, welche für die nächsten Tage anhaltenden Ostwind voraussagen und welcher erst nach einigen Tagen auf West drehen soll, rücken verlockende Ziele wie Bornholm, oder Schwedens Südküste in den Hintergrund. Schliesslich muss die «Jule» in drei Wochen wieder zurück in Heiligenhafen sein. Dagegen scheint unser ursprünglicher Plan A, rund Seeland rechtsherum, geradezu ideal zu sein. Wir sind uns dann schnell einig. Ich wittere meine Chance und werfe den Vorschlag, als nächsten Hafen Albuen anzulaufen in die Runde. Um die Situation etwas zu entschärfen, falls Albuen, welches ich ja nur aus meinen Träumen, vom Hörensagen und auf den Seekarten kenne, doch etwas zu ruppig wäre, erwähne ich noch den Hafen Langø als Ausweichmöglichkeit – und siehe da, alle andern beissen an.
Dass wir auf der «Solvejg» wie die Murmeltiere schlafen würden, hätten wir nicht gedacht. Weil es am Bodensee nicht immer so war, hatten wir uns im Vorfeld schon etwas Sorgen gemacht. Aber schon auf dem Trockenen, das heisst auf der Raststätte Rhön an der A7 schliefen wir so gut und tief, wie man sich das nur wünschen kann. Und auch hier in Orth übermannt uns der Tiefschlaf, sobald wir in den Kojen liegen.
[1] Sinngemässe Übersetzung aus dem Berndeutschen: «…als wäre das Stück Tuch, welches stolz über dir weht, die Freiheit. Als wäre es nicht manchmal auch ein Fluch, der sich gegen dich dreht und dich drängt und dich treibt und dir immer wieder sagt, dass du für immer fahren sollst…»
Fehmarnbelt
Am nächsten Morgen legen wir pünktlich um 09:00 ab. Erst jetzt kriege ich mit, dass die «Jule» noch einmal nach Heiligenhafen fahren muss, weil ihr der Vercharterer nicht alle Seekarten dazu gepackt hat. Obwohl der Wind nicht konstant ist und wir teilweise unterschiedliche Taktiken anwenden (sofern man bei uns von Taktik sprechen kann), runden die «Kleiner Blaupfeil» und wir die Lotseninsel Albuen fast gleichauf. Noch bevor wir jedoch in die Bucht fahren, baut sich hinter uns eine Gewitterfront auf, so dass wir uns entschliessen, die letzte Strecke unter Motor zu fahren, denn diese hat es in sich. Die Fahrrinne ist äusserst schmal und gemäss Hafenführer ist das Befahren unter Segeln nicht möglich. Die Untiefen seien starken Veränderungen unterworfen. Weil die «Jule» noch irgendwo weit hinter uns liegt und aufgrund des aufziehenden Gewitters, entscheiden wir uns für den Hafen Langø. Alles geht schliesslich gut. Selbst als ich eine der letzten Tonnen vor dem Hafen, einen Ostquadranten, wider besseres Wissen und trotz des ausdrücklichen Hinweises von Beatrice vor lauter Aufregung auf der Westseite runde, hat Neptun ein Nachsehen mit uns und lässt uns ohne Grundberührung in den Hafen einlaufen. Gerade rechtzeitig zum Nachtessen trifft auch die «Jule» ein. Das gemeinsame Zubereiten des Nachtessens mit den unterschiedlichen Vorräten aus den verschiedenen Bilgen und die gemeinsame Mahlzeit unserer drei Crews, ist für uns die ideale Ergänzung zum stundenlangen Segeln in der auch sehr schönen, einsamen Zweisamkeit.
Der darauffolgende Tag wird ein Hafentag. Isolde, Bernd und ich erkunden unsere Umgebung mit dem gemieteten Hafenrad. Weil wir es auf dem Seeweg nicht ganz nach Albuen geschafft haben, sticht mich der Hafer und ich will es mit dem Rad über die lange Düne versuchen. Zumindest auf der Karte ist da ein Weg eingezeichnet. Die Realität ist allerdings etwas schwieriger: zwei Drittel der Strecke trage oder schiebe ich das Rad durch knöcheltiefen, feinen Sand. Doch ich bin schon viel zu weit, um an ein Aufgeben zu denken. Ich schaffe es schliesslich und verstehe jetzt, wieso dieser Ort eine so magische Anziehungskraft auf mich ausübt. Ich sauge die Atmosphäre dieser Folkeboot-würdigen Umgebung in mich auf. Es muss schon noch mal ein anderes Gefühl sein, wenn man die etwas heruntergekommene Steganlage von der Seeseite her betritt. Aber in diesem Moment bin ich mir sicher, dass dieser Tag, wenn vielleicht auch nicht auf diesem Törn, für mich irgendwann noch kommen wird.
Möglicherweise erwecke ich durch meine Schilderungen über das Segeln beim Leser einen unbeholfenen Eindruck. Dass wir ohne fremde Hilfe kein einziges Manöver schaffen würden, dass wir überhaupt nicht wissen, was wir tun, das stimmt so nicht. Unter diesen Umständen hätten wir niemals auch nur darüber nachgedacht, eine solche Reise anzutreten. Aber zum Segeln sind wir eben viel später gekommen, als andere und an Erfahrung fehlt es hie und da schon. Das heisst aber nicht, dass es uns deshalb den Ärmel weniger heftig reingenommen hat und dass wir dieses Manko so stehen lassen wollen. Der gefasste Vorsatz, bei den Hafenmanövern möglichst auf den Motor zu verzichten und auch bei 6 Windstärken mindestens den Versuch unter Segeln zu wagen, ist dann auch noch eine andere Hausnummer, als wenn man sich dafür einfach nur auf den Motor verlässt. Deshalb bin ich froh über jeden Tipp, gerade von viel erfahreneren Seglern, wie man eine spezielle Situation aus ihrer Sicht angehen sollte. Und das bin ich auch hier an diesem Morgen vor dem Ablegen in Langø, als ich mit Bernd das Ablegemanöver bespreche. Der Wind steht ziemlich genau auf die enge Hafeneinfahrt. Kurz nach dem Abstossen wird eine Wende knapp vor den Dalben auf der gegenüberliegenden Steuerbordseite und eine zweite knapp vor der Spundwand auf der Backbordseite notwendig sein. Hat man das geschafft, ist der schwierigste Teil überstanden und es sind vor allem noch die Untiefen links und rechts vor der Hafeneinfahrt, die es zu beachten gilt. Soweit der Plan.
Unser Manöver geht dann aber beinahe in die Hose, weil ich es gründlich vergeige: nur durch geistesgegenwärtiges und beherztes Abhalten von Beatrice an den steuerbordseitigen Dalben, wird bei der ersten Wende schlimmeres verhindert. Was ich falsch gemacht habe, sollte mir erst beim zweiten, in ähnlichem Ausmass misslungenen, aber auch glimpflich abgelaufenen Ablegemanöver auf Sejerø bewusst werden: statt die Grossschot UND die Pinne immer in den Händen zu halten und nach dem Abstossen am Dalben zügig dicht zu holen, damit wir möglichst viel Höhe laufen, hatte ich mich auf alles andere konzentriert. Noch einmal ist es, auch dank Beatrice gut gegangen. Der Rest des Manövers gelingt planmässig und ich bin froh, dass ich mit so einem gutmütigen Boot, wie der «Solvejg» unterwegs bin und eine so wertvolle Mitseglerin, wie meine Frau an Bord habe. Auch wenn ich an den Worten von Joseph Conrad nichts Unwahres finde, so stehen die Dinge manchmal doch besser für mich:
«Ein Segelschiff ist ein Geschöpf, das wir gewissermassen zu dem Zweck in die Welt gesetzt haben, um an ihm unsere Fähigkeiten zu beweisen. Von allen lebenden Geschöpfen an Land und auf See lassen sich nur Segelschiffe nicht vom leeren Schein betrügen, lassen sie allein sich keine minderwertige Kunst von ihren Meistern gefallen».
Langelandsbelt
Wir haben uns auf das Tagesziel Vejrø geeinigt. Vejrø wird im dänischen Hafenmagazin «Sejlerens» als besuchenswerte Insel mit Einkaufsmöglichkeiten in einem Hofladen aus eigener, biologischer Produktion empfohlen. Tatsächlich sind der Hafen und die Infrastruktur etwas vom Feinsten. Die Sanitäranlagen brauchen den Vergleich mit der Einrichtung in einem gepflegten Hotel nicht zu scheuen. Ein Gastliegeplatz für Boote bis 15 m Länge kostet allerdings auch stolze 350 Kronen (ca. € 50.00), was wir erst bei der Hafeneinfahrt feststellen. Bernd kann jedoch die Dame auf dem Hafenmeisterbüro davon überzeugen, dass zwei Folkeboote nicht viel länger als 15 m seien und das diese auch nebeneinander locker in einer Box Platz finden, denn wir würden uns einen Liegeplatz teilen. Schmunzelnd steigt die Dame darauf ein und verrechnet uns je nur die Hälfte der Liegeplatzgebühr.
Ein Spaziergang in der Hafenumgebung hinterlässt den Eindruck einer künstlichen, piekfeinen, sterilen Atmosphäre, eine Insel wie aus der Retorte. Zu sechst teilen wir uns zum Nachtessen ein sogenanntes Grillpaket bestehend aus 4 Würsten. Mehr ist in dem hafennahen Hotel nicht erhältlich und der Hofladen ist nicht geöffnet. Die Beilagen zaubern wir aus den Bilgen hervor, mit dabei der leckere Salat von Isolde, welchen wir sehr zu schätzen wissen.
Für die kurze Tagesstrecke und nach der verzweifelten Suche eines verlorenen Mobiltelefons, welches später zwischen Koje und Planken zum Vorschein kommen wird, legen wir am nächsten Tag erst gegen Mittag ab. Nach wenigen Stunden dann die Hafeneinfahrt im Agersø Lystbådehavn mit raumem Wind, welcher pünktlich vor dem Anlegen noch einmal kräftig auffrischt. Aber mit geborgener Fock und dichtgeholtem Gross (zur Verlangsamung der Fahrt – den Tipp hatte ich von Bernd) und mit einem Aufschiesser in die Box gelingt das Manöver gut. Wir geniessen den schönen Abend aussen auf der Mole und planen für den nächsten Tag einen langen Schlag nach Sejerø.
Grosser Belt
Der frühe Vogel fängt den Wurm und das bedeutet Leinen los um 05:00 Uhr in der Früh. Mit durchzogenen Windprognosen und mit einer Strecke von mindestens 50 Seemeilen vor uns, ist das sicher keine schlechte Idee. Die Fahrt durch den Grossen Belt bestätigt die Prognosen. Um 09:30 Uhr fahren wir durch die Grosse Belt Brücke. Es ist nun unsere dritte Passage: 2017 waren wir mit dem Folkeboot «Martha» in südlicher Richtung und 2021 auf Florians Zweimaster in nördlicher Richtung unterwegs. Nach der Brücke haben wir es mit zahlreichen Winddrehern zu tun und kreuzen über lange Strecken gegenan. Segelt man nicht dicht unter Land, hat man auch gegen eine hakige Welle zu kämpfen. Die «Kleiner Blaupfeil» macht es besser als wir. Obwohl die Crew der «Jule» seglerisch richtig etwas draufhat, läuft das IF-Boot alles andere als optimal. Sie hat zudem das Pech, dass sie durch die Verzögerung da in eine Flaute kommt, wo wir noch eingermassen durchrauschen konnten. So zieht sich das Feld unserer Flotille ziemlich auseinander. Nachdem wir das Leuchtfeuer Røsnæs gerundet und auf einen nordöstlichen Kurs abgedreht haben, scheint sich auch der Wind mitzudrehen und vor allem laufen wir gegen eine kräftige Welle. Der Wind flaut ab, die Welle bleibt und irgendwann sind wir der Meinung, dass wir die Lösung beim Motor suchen sollten. Ein Blick nach backbord verrät uns, dass «Kleiner Blaupfeil» mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. Uns ist klar, dass die beiden vollen Akkus nicht ausreichen werden, wenn die Situation bis Sejerø so bleiben sollte. Dann kommt der erlösende Anruf von Isolde: sie bieten uns an, uns in Schlepp zu nehmen (zu diesem Zeitpunkt läuft ihr Aussenborder noch) und wir nehmen dankend an. Nach über einer Stunde frischt der Wind wieder auf, wir können den Schlepp lösen und unter Segeln bis zum Hafen weiterfahren. Noch vor der Dunkelheit machen wir um 23:00 Uhr in Sejerø fest, derweil die «Jule» in Røsnæs liegt. Gut so, niemand hat nach dem langen Tag etwas dagegen, wenn wir am nächsten Morgen ausschlafen können, bis «Jule» zu uns aufholt.
Am nächsten Tag machen wir uns auf die Suche nach Fisch für das Nachtessen. Der einzige Fischer im Hafen verkauft uns seine zwei letzten Schollen direkt ab Kutter. Das ist nicht gerade viel, für sechs Personen, aber irgendwo hatten mal zwei Fische und fünf Brote 5000 Leute satt gemacht, also wird das auch für uns reichen. Bei uns muss auch niemand Wasser in Wein verwandeln, denn davon gibt es genug in unseren Bilgen. Und die Schollen mit Bratkartoffeln und allem, womit wir die Mahlzeit anreichern, sind jedenfalls ein Genuss.
Es geht bald weiter, Teil 3 kommt in Kürze……
Ruedi und Beatrix Wüthrich
Bilder zu der Reise findet Ihr in der Galerie